Was ist Mikroschlaf? Symptome, Ursachen und Prävention
Kommt dir folgendes Szenario bekannt vor? Du fährst nach einer langen Arbeitswoche mit vielen schlaflosen Nächten erschöpft nach Hause und stellst plötzlich fest, dass du dich nicht mehr an den letzten Kilometer erinnern kannst. Du kannst dich nicht mehr an die letzte rote Ampel oder gar an die letzten zehn Sekunden erinnern. Das letzte, woran du dich erinnerst, ist, dass deine Augenlider zuklappen und dein Kopf nach vorne fällt. Es ist fast so, als hättest du gerade einen flüchtigen Moment der Bewusstlosigkeit erlebt: Schlaf. Was ist da gerade passiert? Vielleicht bist du gerade einem Mikroschlaf erlegen.
Definition von Mikroschlaf – besser bekannt als Sekundenschlaf
Mikroschlaf ist ein ungewolltes vorübergehendes Einschlafen, das normalerweise zwischen 1 bis 15 Sekunden andauert. Eine Mikroschlaf-Episode tritt häufig auf, wenn jemand nach extremen Anfällen von Müdigkeit darum kämpft, wach zu bleiben. Während eines Sekundenschlafs übernimmt das Gehirn im Wesentlichen die Kontrolle über unseren Bewusstseinszustand und schaltet von Wachsein auf Schlaf um, was sich als völlige Reaktionsunfähigkeit äußert, begleitet von einem langsamen Schließen der Augenlider und unkontrolliertem Kopfnicken. Forscher haben herausgefunden, dass Mikroschlaf-Episoden dramatische Veränderungen der Gehirnaktivität verursachen.1 Häufig sind diese Veränderungen jedoch auf bestimmte Bereiche oder Strukturen beschränkt und nicht im gesamten Gehirn verbreitet. So haben Studien gezeigt, dass der Thalamus, ein Bereich des Gehirns, der für die Interpretation eingehender sensorischer Signale zuständig ist, während des Mikroschlafs erheblich gestört und weniger aktiv ist. Mit anderen Worten: Bestimmte Teile des Gehirns bleiben wachsam, während andere Bereiche – insbesondere diejenigen, die an der Interpretation verschiedener Signale beteiligt sind – vorübergehend abgeschaltet werden.
Die Wissenschaftler bezeichnen diesen Vorgang als „lokalen Schlaf“. Ein weiteres Beispiel für lokalen Schlaf ist der Schlaf in einer neuen Umgebung. Bist du schon einmal nach der ersten Nacht in einem neuen Hotel oder sogar als Kind bei Übernachtungen in fremder Umgebung unausgeschlafen aufgewacht? Dies wird als „First-Night-Effect“ bezeichnet und Forscher haben festgestellt, dass eine Gehirnhälfte wachsamer bleibt als die andere – eine Art „Nachtwache“, um eine unbekannte Umgebung während des Schlafs zu überwachen.2 Der Mensch ist nicht die einzige Spezies, die Anzeichen von lokalem Schlaf zeigt. Beispielsweise haben Delfine, Robben und Seekühe alle einen uni-hemisphärischen Schlaf (sie schlafen immer nur mit einer Gehirnhälfte), was ihnen die Möglichkeit bietet, gleichzeitig zu schlafen, wachsam zu sein und zum Atmen aufzutauchen.3 Ähnlich wie die Überlebensvorteile des uni-hemisphärischen Schlafs kann der Mikroschlaf aus dem dringenden Bedürfnis des Körpers nach Schlaf entstehen – wobei er immer noch genug Wachsamkeit bietet, um nach einigen Sekunden wieder zu erwachen, und sogar einen schnellen Anstieg der Aufmerksamkeit zur Folge hat. Leider kann jedoch eine unfreiwillige Schlafphase, die durch Schlafentzug beim Autofahren ausgelöst wird, enorm gefährlich sein und im schlimmsten Fall zu Unfällen führen.
Wodurch wird Mikroschlaf verursacht?
Um die Ursachen des Mikroschlafs zu verstehen, muss man zunächst wissen, was den „normalen“ Schlaf auslöst. Unser Schlafbedürfnis wird zum Teil durch das Wachsein verursacht: Was nach oben geht (Wachsein), muss zurück nach unten kommen (Schlaf). Das Bedürfnis zu schlafen, nachdem man längere Zeit wach war, wird als Schlafdruck bezeichnet. Schlafdruck entsteht durch die Anhäufung eines Stoffes in unserem Körper namens Adenosin, der das Gehirn überflutet und direkt zur Schläfrigkeit beiträgt. Je länger wir wach bleiben, desto mehr Adenosin wird gebildet und desto größer ist der Schlafdruck. Auslöser für den Mikroschlaf ist die Unfähigkeit, diesen Schlafdruck nach längerem Wachsein, oft infolge von Schlafentzug, zu bekämpfen. Das bedeutet, dass Menschen, die aufgrund einer Schlafstörung wie Schlaflosigkeit oder anderer medizinischer Erkrankungen unter Schlafmangel leiden, eher zu Mikroschlaf neigen als diejenigen, die sieben bis neun Stunden Schlaf pro Nacht erreichen. Nicht nur Schlafentzug kann zu Mikroschlaf führen, sondern auch langweilige Aufgaben über einen längeren Zeitraum.
Die Autoren einer in der amerikanischen Fachzeitschrift Human Brain Mapping veröffentlichten Studie ließen zwanzig gesunde, normal ausgeruhte Teilnehmer fast eine Stunde lang eine kontinuierliche Verfolgungsaufgabe durchführen. Die Studie ergab, dass 70 % der Teilnehmer, die sich der langen, anstrengenden Aufgabe unterzogen, häufig einen Mikroschlaf erlebten.4 Eine andere Studie kam zu dem Ergebnis, dass der Sekundenschlaf das Schlafbedürfnis sogar verringern kann. Teilnehmern, denen absichtlich Schlaf entzogen wurde, unterliefen unmittelbar nach dem Mikroschlaf weniger Fehler und Aufmerksamkeitsstörungen als vor dem Mikroschlaf. Diese durch den Sekundenschlaf verursachten Aussetzer des Urteilsvermögens und der Aufmerksamkeit können gefährlich sein, insbesondere wenn sie beim Autofahren auftreten.5
Die Gefahren des Mikroschlafs
Mikroschlaf und Autofahren in extrem müdem Zustand erhöhen das Risiko von Verkehrsunfällen erheblich. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Fahrer, die unter Schlafentzug leiden, genauso viele, wenn nicht sogar mehr Fehler machen als betrunkene Fahrer.6 Wichtige kognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit, Entscheidungsfindung, Wachsamkeit und Koordination lassen unter dem Druck des Schlafmangels nach – und diese Auswirkungen werden während des Mikroschlafs noch verstärkt. Bei einer Geschwindigkeit von 95 km pro Stunde kann ein Fahrer in nur fünf Sekunden (der durchschnittlichen Dauer eines Mikroschlafs) rund 150 Meter zurücklegen. Man kann sich also vorstellen, welchen Schaden ein Mikroschlaf auf der Straße anrichten kann. Aus diesen Gründen tragen Schläfrigkeit am Steuer, Mikroschlaf und Schlafentzug nach wie vor in erheblichem Maße zu Verkehrsunfällen und Todesfällen weltweit bei.
So kannst du Mikroschlaf vermeiden
Glücklicherweise kann die Wahrscheinlichkeit von Mikroschlaf drastisch reduziert werden, indem man ausreichend schläft (bei den meisten Menschen zwischen sieben und neun Stunden). Achte darauf, dass du vor langen Fahrten genügend Schlaf bekommst, um dein Schlafdefizit zu begrenzen. Wenn du jedoch mit wenig Schlaf Auto fährst, musst du die Warnzeichen für Schlafmangel und mögliche drohende Mikroschlafsituationen erkennen:
- Unfähigkeit, die Augen offen zu halten
- Häufiges oder intensives Blinzeln
- Übermäßiges Gähnen
- Benommenheit und Konzentrationsschwierigkeiten
- Muskelzuckungen (auch bekannt als hypnotische Zuckungen)
Wenn du eines dieser Symptome bemerkst, solltest du an einem sicheren Ort anhalten und frische Luft schnappen, um das Risiko von Unfällen zu vermeiden. Wenn ein weiterer ausgeruhter Fahrgast im Auto sitzt, könnt ihr euch auch beim Fahren abwechseln. Auch ein 20- bis 30-minütiges Nickerchen kann die Stimmung, die Wachsamkeit und die kognitive Leistungsfähigkeit kurzfristig verbessern. Laut einer NASA-Studie aus dem Jahr 1994 erlebten Piloten mit Schlafentzug, die vor einem Langstrecken-Testflug ein geplantes 40-minütiges Nickerchen machen durften, deutlich weniger Mikroschlaf-Episoden als Piloten ohne Nickerchen.7 Auch koffeinhaltige Getränke können die Symptome des Schlafmangels abmildern, allerdings nur vorübergehend. Eine Tasse Kaffee (etwa 80 mg Koffein) verbessert nachweislich die Fahrleistung und die selbst eingeschätzte Schläfrigkeit während einer monotonen Fahrt für bis zu zwei Stunden.8 Fest steht jedoch auch, dass ein kurzes Nickerchen oder Koffein die Leistungsfähigkeit im Vergleich zu einer vollständigen sieben- bis neun-stündigen Schlafperiode nicht vollständig wiederherstellen kann. Die wirksamste Methode zur Vermeidung des Mikroschlafs ist die Prävention, denn schlaflose Nächte können einen erheblichen, aber vermeidbaren Preis fordern.
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Schlaf gut!
1 Poudel GR, Innes CRH, Bones PK, Watts R, Jones RD. Losing the Struggle to Stay Awake: Divergent Thalamic and Cortical Activity During Microsleeps. Human Brain Mapping. 2014: 35;257-269. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/hbm.22178
2 Tamaki M, Bang JW, Watanabe T, Sasaki Y. Night Watch in One Brain Hemisphere during Sleep Associated with the First-Night Effect in Humans. Curr Biol. 2016;26(9):1190-1194. doi:10.1016/j.cub.2016.02.063
3 Mascetti GG. Unihemispheric sleep and asymmetrical sleep: behavioral, neurophysiological, and functional perspectives [published correction appears in Nat Sci Sleep. 2016 Dec 20;9:1]. Nat Sci Sleep. 2016;8:221-238. Published 2016 Jul 12. doi:10.2147/NSS.S71970
4 Poudel GR, Innes CR, Bones PJ, Watts R, Jones RD. Losing the struggle to stay awake: divergent thalamic and cortical activity during microsleeps. Hum Brain Mapp. 2014 Jan;35(1):257-69. doi: 10.1002/hbm.22178. Epub 2012 Sep 24. PMID: 23008180; PMCID: PMC6869765.
5 Poudel GR, Innes CRH, Jones RD. Temporal evolution of neural activity and connectivity during microsleeps when rested and following sleep restriction. Neuroimage. 2018 Jul 1;174:263-273. doi: 10.1016/j.neuroimage.2018.03.031. Epub 2018 Mar 16. PMID: 29555427.
6 Hack MA, Choi SJ, Vijayapalan P, Davies RJO, Stradling JR. Comparison of the effects of sleep deprivation, alcohol and obstructive sleep apnoea (OSA) on simulated steering performance. Respiratory Medicine. Volume 95, Issue 7, 2001; 594-601. https://doi.org/10.1053/rmed.2001.1109.
7 Rosekind MR, Graeber RC, Dinges DF, Connell LJ, Rountree MS, Spinweber CL, Gillen KA. Crew factors in flight operations 9: Effects of planned cockpit rest on crew performance and alertness in long-haul operations. NTRS – Nasa Technical Reports Server. 1994: Sep 1. https://ntrs.nasa.gov/citations/19950006379
8 Mets M, Baas D, van Boven I, Olivier B, Verster J. Effects of coffee on driving performance during prolonged simulated highway driving. Psychopharmacology (Berl). 2012;222(2):337-342. doi:10.1007/s00213-012-2647-7